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Standpunkt
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Professor Volker Stich
, Industrie
4.0-Experte und Geschäftsführer des
FIR an der RWTH Aachen, wagt auf
der Basis aktueller Daten einen Blick
in die Zukunft. Das AiF-Mitglied FIR
befasst sich insbesondere mit dem
Dienstleistungs-, Informations- und
Produktionsmanagement. Es gehört
zu den fünf nationalen „Kompetenz-
zentren Mittelstand 4.0“, die Bundes-
wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
ausgelobt hat.
Herr Professor Stich, wie wird die
Produktion im Jahr 2030 ausse-
hen?
Oh, wenn wir das so genau wüss-
ten, bräuchten wir ja kaum noch
zu forschen! Aber
Spaß beiseite: Für uns
steht fest, dass die
Automatisierung noch
deutlich voranschrei-
ten wird. Sensoren,
mobile Endgeräte und
mit digitalen Arbeits-
helfern ausgerüstete
Arbeitsplätze werden
zunehmen. Allerdings
brauchen wir uns darüber weder
Sorgen noch fantastische Illusionen
zu machen: Der deutsche Mittel-
stand wird sich kontinuierlich weiter
entwickeln, niemand kann einen
Zauberstab schwingen und diese
„Revolution“ ad hoc umsetzen.
Welche Bedeutung hat Industrie
4.0 für die zukünftige Wettbe-
werbsfähigkeit von Unternehmen?
Die kontinuierliche Verbesserung
der eigenen Leistungserbringungs-
prozesse ist seit jeher Vorausset-
zung für die Erhaltung der Wettbe-
werbsfähigkeit – und damit auch für
die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Das Schlagwort Industrie 4.0 fasst
nur zusammen, dass diese Verbes-
serung eben nicht nur physisch „auf
dem Shopfloor“ erfolgt, sondern
dass wir uns in Zukunft immer mehr
mit der digitalen Vernetzung und
Automatisierung von Arbeitsabläu-
fen auseinandersetzen müssen.
Wo steht dabei der deutsche
Mittelstand aktuell?
Das Bild des deutschen Mittel-
stands ist sehr heterogen. Wir
sehen herausragende Leistungen
der Technologieführer – aber in der
breiten Masse auch großen Nach-
holbedarf. Eine unserer eigenen
Studien zeigte gerade, dass wir im
internationalen Vergleich auf der
Hut sein müssen, den Anschluss
zu behalten. Denn viele Unterneh-
men haben zwar das Potenzial von
Industrie 4.0 erkannt, ihr eigener
Reifegrad ist ihnen aber unklar. Das
führt dazu, dass sie sich scheinbar
einfache Lösungen zum Vorbild
nehmen, die gar nicht ihren eigenen
Bedürfnissen entsprechen.
Welche Schwierigkeiten hat ins-
besondere der Mittelstand bei der
Umsetzung?
Das Leistungsangebot des Mittel-
stands ist enorm differenziert: Wir
haben großartige Spezialisten auf
vielen Gebieten. Genau das stellt
auch die Herausforderung dar: Es
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Standpunkt
Licht und Schatten
„Industrie 4.0“ im Mittelstand
Rund 15 Prozent der Projekte
in der Industriellen Gemein-
schaftsforschung (IGF) befas-
sen sich aktuell mit Industrie
4.0-Themen. Da diese häufig
nach branchenübergreifender
Zusammenarbeit verlangen,
bietet das Innovationsnetzwerk
der AiF und ihrer Forschungs-
vereinigungen die optimale
Plattform, um den Mittelstand
bei dieser großen Herausfor-
derung zu unterstützen.
gibt kaum kopierbare „Musterlö-
sungen“ für die Einführung von
Industrie 4.0. Jeder Betrieb muss
sich mit seinen Fähigkeiten und
den umgebenden Marktanforde-
rungen auseinandersetzen, um eine
passende Lösung zu finden. Das ist
aufwendig, ressourcenfordernd und
benötigt den festen Willen, auch
Etabliertes in Frage zu stellen.
5. Welche Chancen bergen Indust-
rie 4.0-Technologien für mittelstän-
dische Unternehmen?
Die Chancen liegen insbesondere
bei der besseren Planungsmöglich-
keit von Betriebsabläufen. Durch
den Einsatz von Industrie 4.0-Tech-
nologien sind Prozesse
in Echtzeit verfolgbar.
Die Vielzahl der pro-
duzierten Daten ist die
Basis für Smart Data,
d. h. eine deutlich ver-
besserte Prognosefähig-
keit, mehr Effizienz und
ggf. sogar ganz neue
Geschäftsmodelle.
Welche Möglichkeiten der Unter-
stützung bietet die IGF für mittel-
ständische Unternehmen?
Als IGF-Akteur im Netzwerk der AiF
sehen wir es als unseren Auftrag,
Unternehmen in Forschungspro-
jekte einzubinden, die umsetzbare,
sichere Schritte der Entwicklung
aufzeigen. Dabei zeigen wir im
Cluster Smart Logistik an Demons-
tratoren und Show-Cases, wie
Best-Practices im Industrie 4.0-Kon-
text aussehen können. Direkte Nutz-
nießer sind die Unternehmen in den
Projektbegleitenden Ausschüssen
der IGF – aber auch anderen Unter-
nehmen stehen unsere Forschungs-
ergebnisse immer offen.
„Der deutsche Mittelstand
wird sich kontinuierlich
weiter entwickeln, nie-
mand kann einen Zau-
berstab schwingen und
diese ‚Revolution‘ ad hoc
umsetzen.“